Am 12. Februar 2025 begann vor dem Bonner Landgericht der Prozess gegen den Kinderpsychiater Michael Winterhoff. Ihm werden in insgesamt 36 Fällen gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt. Die Anklage bezieht sich auf Taten, die zwischen 2004 und 2021 begangen worden sein sollen, und basiert auf einer WDR-Dokumentation, die viele Betroffene animierte, sich zu melden. Winterhoff war bis zu seiner Anklage in Rheinland-Pfalz tätig, unter anderem in mehreren Heimen im Kreis Ahrweiler und Westerwald.
Die Staatsanwaltschaft wirft Winterhoff vor, in vielen Fällen Psychopharmaka verschrieben zu haben, die sedierend wirken und schwerste Nebenwirkungen verursachen können, und dies teilweise ohne medizinische Diagnose. Diese Medikamente hätten die Kinder gefügig machen sollen, um sie für die autoritären Erziehungsmethoden, die Winterhoff den Erziehungsberechtigten empfohlen haben soll, leichter zugänglich zu machen. Opferanwälte berichten, dass die Betroffenen bis heute unter schwerwiegenden Nebenwirkungen leiden.
Vorwürfe und deren Hintergründe
Michael Winterhoff arbeitete häufig mit Jugendhilfeeinrichtungen und stellte dabei Diagnosen, die nicht wissenschaftlich anerkannt sind, wie den „frühkindlichen Narzissmus“. Diese Diagnosen führte häufig zur Empfehlung der Unterbringung in Kinderheimen, mit denen Winterhoff kooperierte. Laut Berichten war der Psychiater in bis zu 30 Pflegefamilien und Einrichtungen in mehreren Bundesländern tätig.
Ehemalige Patienten berichten von massiven Nebenwirkungen der Medikamente. Eine 17-jährige Patientin namens Lara erhielt mit sieben Jahren Pipamperon, eines der von Winterhoff häufig verschriebenen Medikamente. Ihre Mutter wurde über die Einnahme und mögliche Nebenwirkungen nicht aufgeklärt. Lara beschreibt ihre Erfahrungen als emotionalen Verlust und fühlt sich durch die Medikation in ihrer Entwicklung stark beeinträchtigt.
Recherchen und rechtliche Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft hat über Jahre ermittelt und dabei 15 Kinderhilfeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen durchsucht. Dabei wurden Patientenakten und anderes Beweismaterial sichergestellt. Winterhoff selbst bestreitet die Vorwürfe vehement und behauptet, nur bei medizinischer Notwendigkeit gehandelt zu haben. Zudem argumentiert er, dass es keine Beweise für Schäden durch seine Behandlung gebe.
In der Anklage wird auch angeführt, dass die Medikamente, die Winterhoff verschrieb, als Teil einer umfassenden Behandlung betrachtet wurden. Diese Argumentation wird jedoch von vielen als unhaltbar eingeschätzt. Zudem soll der Prozess bis zum Ende Juli 2025 über rund 40 Verhandlungstage dauern, mit einem möglichen Urteil gegen Ende des Monats.
Medikation und gesellschaftliche Einordnung
Die Diskussion um die Verwendung von Psychopharmaka bei Kindern und Jugendlichen ist nicht neu. Laut dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey zeigt sich ein Anstieg psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter, was dazu führt, dass immer mehr Behandlungen erforderlich sind. Insbesondere die Verordnung von Antipsychotika hat zugenommen, auch wenn nur wenige dieser Medikamente für diese Altersgruppe zugelassen sind.
Winterhoffs Fall wirft ein grelles Licht auf die Umstände der medikamentösen Behandlung von Kindern. Der Umgang mit psychischen Störungen und die verwendeten Behandlungsmethoden sind nach wie vor ein heiß umstrittenes Thema, das einer kritischen Auseinandersetzung bedarf. Die dreiteilige Dokuserie „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“, die ab dem heutigen Tag in der ARD-Mediathek verfügbar ist, wird diese Thematik weiter aufgreifen und könnte dazu beitragen, dass weitere Betroffene ihre Stimmen erheben.