Eine Wanderausstellung im Rathausfoyer von Gießen erinnert derzeit an die jüdischen Opfer von Entrechtung und Enteignung in den 1930er Jahren. Diese Ausstellung, die aus der italienischen Partnerstadt Ferrara stammt, thematisiert die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die viele in die Gaskammern von Auschwitz führte. Sie präsentiert ein innovatives „Remember House“, gefertigt aus Pappe und nachhaltigen Materialien, und enthält symbolische Gegenstände, die vom Verlust erzählen und eine Brücke zur Gegenwart schlagen. Das Projekt ist vom MEIS, dem Nationalen Jüdischen Museum in Ferrara, organisiert und wurde mit der Beteiligung von Schülern und Jugendlichen aus Europa entwickelt, die Ideen zur inhaltlichen Gestaltung einreichten. Fünf Schülerprojekte wurden in die Installation integriert, darunter eine Oberstufenklasse aus Brescia, die beschlagnahmte Gegenstände von 1938 zeigt, und eine Klasse aus Eboli, die ein Video über eine jüdische Familie im Jahr 1940 erstellt hat.
Außerdem hat eine Klasse aus Modugno Gedichte mit Rezepten in der „Küche“ des Hauses kombiniert. Diese Schüler beschäftigten sich intensiv mit der Geschichte der Juden in Piemont und Ligurien. Besonders Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher hob in seiner Ansprache hervor, wie stark diese Geschichte mit der Stadt Gießen verbunden ist, und nannte als Beispiel das Bankhaus Herz, das 1938 von den Nazis geplündert wurde, während die gesamte Familie Herz im KZ Treblinka starb. Die Ausstellung behält zudem einen aktuellen Bezug zur heutigen Zeit, indem sie auch das Leben somalischer Flüchtlinge im kenianischen Lager Dadaab thematisiert. Dow Aviv, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gießen, zitierte Bundespräsident Steinmeier: „Es gibt kein Ende der Erinnerung.“
Einblick in die Geschichte
Die Ausstellung „Remember House“ ist bis zum 27. Februar im Foyer des Gießener Rathauses zu sehen. Die Thematik der Entrechtung und Enteignung jüdischer Menschen ist nicht nur für die Vergangenheit von Bedeutung, sondern wirft auch einen kritischen Blick auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen. Die Forschung über die systematische Ausgrenzung jüdischer Gewerbebetriebe in Deutschland begann bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts, wobei die direkte Vernichtung jüdischen Eigentums ab 1933 Einzug hielt. Lokale Verwaltungsinstanzen und die NSDAP führten zu einem Ausschluss jüdischer Gewerbebetriebe vom Geschäftsverkehr, was in gewaltsamen Blockaden und pogromähnlichen Gewaltaktionen mündete.
Die entscheidenden Ereignisse, wie das Novemberpogrom 1938, stellten eine Kulmination des Wertesystems dar, das zur vollständigen Ausschließung von Juden aus dem Wirtschaftsleben führte. Die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben sollte den scheinbaren Endpunkt der jüdischen Handelsaktivitäten markieren. Dennoch dauerte der Prozess in Berlin bis weit in den Krieg hinein an. Studien und Forschungen zu dieser Thematik blieben lange Zeit auf der Strecke, erlebten jedoch mit dem Zugang zu Rückerstattungsakten in den späten 1990er Jahren einen Aufschwung.
Das Archiv als Wissensquelle
Für diejenigen, die sich noch intensiver mit diesen Themen beschäftigen möchten, bietet das Bundesarchiv auf seinen Webseiten eine Vielzahl an Informationen über das jüdische Vermögen während der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Recherche über die Arisierung und spezifische Fälle jüdischen Eigentums ist im Online-Gedenkbuch möglich, und das Archivportal Deutschland bietet ein Themenportal zur Wiedergutmachung an. Unter anderem ist im Bundesarchiv die Gesamtkartei über jüdische Vermögen zugänglich, nebst weiteren Beständen, die für die Aufarbeitung der Geschichte von Bedeutung sind.
Die Wanderausstellung in Gießen ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur, sondern bietet auch aktuelle Perspektiven auf die Themen Flüchtlingsbewegungen und multikulturelles Zusammenleben. Veranstaltungen wie diese sind von grundlegender Bedeutung, um das Gedächtnis an die Schrecken der Vergangenheit wachzuhalten und gleichzeitig deren Lehren für die Gegenwart zu nutzen.