In Gießen stehen viele Antragsteller auf Einbürgerung vor einem langwierigen bürokratischen Prozess. Aktuell müssen sie mit Wartezeiten von bis zu zweieinhalb Jahren rechnen. Eine signifikante Ursache für diese Verzögerungen ist der Anstieg der Antragstellerzahlen, der nach der Einführung des neuen Einbürgerungsrechts im Juni 2024 bemerkbar wurde. Hierbei erhöhte sich die Zahl der monatlichen Anträge um etwa 40 Prozent. Malte Wagners Ehefrau ist ein Beispiel unter vielen: Sie stellte vor zwei Jahren einen Antrag, der bis heute nicht bearbeitet wurde. Auch das Regierungspräsidium (RP) Gießen rät von Sachstandsanfragen ab, um die ohnehin überlasteten Bearbeiter nicht zusätzlich zu belasten.
Aktuell sind 7.389 Anträge auf Einbürgerung beim RP Gießen in Bearbeitung, womit insgesamt 10.625 Personen betroffen sind. Das Jahr 2024 erbrachte bereits 5.078 Antragsteller, aber nur 2.972 Entscheidungen, von denen lediglich 2.456 positiv ausfielen. Im Vorjahr wurden insgesamt 1.373 Einbürgerungen vollzogen. Diese langen Bearbeitungszeiten sind jedoch nicht nur ein Gießener Problem; auch in anderen Städten wie Frankfurt und Leipzig müssen Antragsteller teils bis zu 28 beziehungsweise 50 Monate auf eine Entscheidung warten.
Kritik und Personalnot
Die lange Wartezeit stößt auch auf Kritik vom hessischen Landesverband des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der mehr Personal für die Regierungspräsidien fordert. Ein Sprecher des RP bestätigt, dass das Personal „am Limit“ ist und die Bearbeitung von Anträgen oft durch Identitätsklärungen sowie Rückmeldungen anderer Stellen erschwert wird. Die Behörde plant, im Laufe des Jahres Vakanzen in der Sachbearbeitung zu schließen. Antragsteller, die auf ihre Einbürgerung warten, dürfen zudem nicht an Wahlen teilnehmen, was bei vielen zur Frustration führt.
Trotz der Schwierigkeiten bekräftigt der RP-Sprecher, dass eine sorgfältige Prüfung aller Anträge unerlässlich sei. In Deutschland gesamt betrachtet, hat die neue Einbürgerungsreform das Ziel, die Verfahren zu entschlacken sowie die Mehrstaatigkeit zu ermöglichen. Der 14. Integrationsbericht der Bundesregierung belegt, dass 2023 mit 194.000 Einbürgerungen ein historischer Höchststand erzielt wurde. Reem Alabali-Radovan, die Integrationsbeauftragte, hebt die Fortschritte in verschiedenen Lebensbereichen hervor, weist aber auch auf Herausforderungen hin, insbesondere im Bildungssektor. Die Beschäftigungsquote unter Personen mit Einwanderungsgeschichte (69,2 %) bleibt hinter der ihrer einheimischen Mitbürger (81 %) zurück.
Langfristige Entwicklungen und Integration
Die Einwanderung hat dabei auch positive Aspekte hervorgebracht, wie den Zuwachs von erwerbstätigen Syrern, von denen über 222.000 Berufstätige sind, darunter rund 5.000 Mediziner:innen. Dennoch gibt es erhebliche gesellschaftliche Herausforderungen: 20 % der Zugewanderten haben Diskriminierung erfahren, was die Notwendigkeit einer „Willkommenskultur“ unterstreicht, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Fachkräftewettbewerb gefährdet.
Die schulischen Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund haben zwar Fortschritte gemacht, dennoch liegt der Anteil der ausländischen Schüler:innen ohne Abschluss bei 12,4 %, während derweil nur 3 % der deutschen Schüler:innen betroffen sind. Ein digitaler „Dashboard Integration“ wurde eingeführt, um die Indikatoren zur Integration und Diversität zugänglicher zu machen. Die Bundesregierung plant eine Diversitätsstrategie, um den Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst bis zur Neuwahl am 23. Februar zu erhöhen.
Die Entwicklungen in Gießen und darüber hinaus zeigen, dass die Integration von Einwanderern eine mehrschichtige Herausforderung darstellt, die sowohl Politik als auch Gesellschaft stark beschäftigt.