In Deutschland sind die Jugendämter aktuell stark überlastet und sehen sich einem beunruhigenden Anstieg von Fällen der Kindeswohlgefährdung gegenüber. Laut Radio Euskirchen wurden im Jahr 2023 insgesamt 63.700 Fälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet, was einem Höchststand entspricht. Dabei dürfte die tatsächliche Zahl noch höher liegen, da nicht alle Jugendämter in der Lage sind, ihre Daten vollständig zu melden.
Der Personalmangel in Jugendämtern hat unmittelbare Auswirkungen auf den Kinderschutz. Gabriele Flößer vom Kinderschutzbund weist darauf hin, dass die Rechte der Kinder auf Schutz und Förderung nicht ausreichend gewährt werden können. Ein Bericht des WDR zeigt, dass viele Jugendämter unter unzureichenden Bedingungen leiden. Über 80% der befragten Jugendämter berichten von einer Überlastung der Mitarbeitenden im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Besonders alarmierend ist, dass rund 24% der Jugendämter angaben, dass es im Jahr 2023 zu Gefährdungen von Kindern kam, was laut einer Umfrage von Tagesschau alles andere als ein Einzelfall ist.
Notlagen und unzureichende Unterbringung
Ursächlich für diese bedrohliche Lage ist der chronische Fachkräftemangel in der Jugendhilfe. Klara, eine Sozialarbeiterin aus Berlin, berichtet von über 50 Fällen, die sie parallel bearbeitet – und das trotz einer halbtags Anstellung. Dies sind nicht nur individuelle Herausforderungen; laut WDR-Befragungen fühlt sich jeweils gut die Hälfte der Jugendamtsleitungen nicht in der Lage, einen adäquaten Kinderschutz zu gewährleisten.
Die Situation steht auf der Kippe. In jedem zehnten Jugendamt gab es bereits gefährdende Situationen für Kinder aufgrund von Personal- und Platzmangel. Ein gravierendes Beispiel sind die Umstände, unter denen einige Minderjährige untergebracht werden mussten. Einige Kinder konnten beispielsweise nicht in geeignete Inobhutnahmestellen gebracht werden und mussten in den Räumen des Amts übernachten, während andere Privatpersonen anvertraut oder von Mitarbeitenden des Jugendamtes mit nach Hause genommen wurden. Dies wird von der Kinderschutzexpertin Kathinka Beckmann scharf kritisiert.
Politische Reaktionen und Maßnahmen
Die NRW-Familienministerin Josefine Paul betont, dass im Rahmen des neuen Landeskinderschutzgesetzes Verbesserungen im Kinderschutz angestoßen werden sollen. Das Gesetz soll Standards setzen und eine strukturelle Verbesserung bringen. Die Landesregierung hat bereits Maßnahmen zur Förderung von Personalgewinnung und zur finanziellen Unterstützung der Kommunen angestoßen, um den Herausforderungen der Jugendämter zu begegnen.
Trotz dieser Bemühungen gibt es Kritik. Die Gewerkschaft Verdi bemängelt, dass Familien und Kinder nicht die notwendige Unterstützung erhalten. Sie fordert Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und warnt vor einer überbordenden Bürokratie, die zusätzlich belastet. Auch die FDP-Landtagsfraktion fordert dringend Entlastungen für die überforderten Jugendämter.
Es ist klar, dass die Probleme nicht nur in den Jugendämtern selbst liegen, sondern ein umfassendes Systemversagen darstellen. Die Nachwuchsgewinnung für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe bleibt eine der zentralen Herausforderungen, wie auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) anerkennt. Dennoch bleiben konkrete Zahlen und Maßnahmen zur Verbesserung bisher oft vage und unkonkret, was die Situation der betroffenen Kinder und Familien zusätzlich erschwert.