Die Norwegische Regierungskoalition ist zerbrochen, was die politische Landschaft des skandinavischen Landes erheblich beeinflussen könnte. Der Konflikt drehte sich um die Umsetzung eines EU-Energiemarktpakets, das seit 2019 in Kraft ist und als „Saubere Energie für alle Europäer“ bezeichnet wird. Die Zentrumspartei, der bisherige Juniorpartner der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei unter Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, hat sich entschieden, die Regierung zu verlassen. Parteichef Trygve Slagsvold Vedum und Fraktionschefin Marit Arnstad gaben diese Entscheidung in Oslo bekannt, was die bestehende Minderheitsregierung vor drastische Herausforderungen stellt.
Die Sozialdemokraten können zwar bis zur nächsten Wahl eigenständig regieren, müssen jedoch für acht Ministerposten Neubesetzungen vornehmen. Arnstad äußerte den Wunsch, dass Støre als Regierungschef bleibt, während dieser für den Nachmittag eine Pressekonferenz ankündigte, um das Ende der Koalition zu erläutern. Der Streit um die EU-Integration im Energiesektor hat sich in Norwegen zu einem der zentralen Wahlkampfthemen entwickelt, insbesondere angesichts der bevorstehenden Parlamentswahl im September 2025.
Streitpunkt EU-Energiemarket
Der Kern des Konflikts liegt in den unterschiedlichen Ansichten zur Anpassung an die europäische Energiepolitik. Støre hat die Absicht geäußert, drei zentrale Richtlinien des EU-Pakets zu unterzeichnen, die sich mit der Förderung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz von Gebäuden befassen. Im Gegensatz dazu lehnt die Zentrumspartei die geplanten Reformen vehement ab, insbesondere die Erweiterung der Befugnisse der EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Acer). Sie befürchtet, dass die Umsetzung dieses Pakets die nationale Kontrolle über den Energiesektor Norwegens schwächen und zu einem Anstieg der Strompreise führen könnte.
Vedum, als Finanzminister, kritisierte den europäischen Strommarkt als „dysfunktional“ und drängte auf eine Rückkehr zu stabileren und niedrigeren Strompreisen. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, da nahezu zwei Drittel der Haushalte in Norwegen mit Wärmepumpen beheizt werden und fast alle Neuwagen Elektrofahrzeuge sind. Eine ernsthafte Preiserhöhung im Dezember 2024, als die Strompreise auf über 100 Euro pro Megawattstunde stiegen, führte zu Unmut in der Bevölkerung.
Folgen und Ausblick
Die Koalitionskrise hat auch Auswirkungen auf Norwegens Beziehung zur EU. Das Land ist kein EU-Mitglied, sondern gehört zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und ist der wichtigste Gaslieferant der EU. Die EU hat Norwegen gedrängt, das Energiemarktpaket zu implementieren, aber die norwegische Regierung sieht sich dem Druck wider. Historisch hat Norwegen Energierechtsvorschriften nur sehr zögerlich umgesetzt, was in der aktuellen geopolitischen Situation, die durch den Ukraine-Konflikt geprägt ist, besonders ins Gewicht fällt.
Durch den Weggang der Zentrumspartei wird die verbleibende Minderheitsregierung Støres stärker auf die Unterstützung anderer Fraktionen angewiesen sein. Dies könnte in der nahen Zukunft zu weiteren Spannungen führen, insbesondere wenn Norwegen gezwungen ist, sich den strengen EU-Vorgaben entgegenzusetzen. Die bevorstehenden Wahlen im Herbst bieten zudem einen Raum für intensivere Diskussionen über die zukünftige Rolle Norwegens in Europa und die Notwendigkeit einer Reform der nationalen Energiepolitik. Norwegen wird sich bald mit weiteren EU-Energierechtsvorschriften auseinandersetzen müssen, und die Frage bleibt, ob Støre die notwendigen Mehrheiten im Parlament finden kann, um seine politischen Ziele durchzusetzen.
Insgesamt steht Norwegen an einem Wendepunkt, an dem grundsätzliche Entscheidungen über die nationale Energiepolitik und die künftigen Beziehungen zur EU getroffen werden müssen. Die kommenden Monate könnten wegweisend für die politische Richtung des Landes sein.
Für weitere Details zu dieser Entwicklung, siehe die Berichterstattung von Radio Ennepe Ruhr und FAZ. Zusätzliche Kontextualisierung findet sich in der Analyse von Euractiv.