In Rheinland-Pfalz ist mit dem Beginn des Schuljahres 2024/2025 eine umfassende Reform für die schulische Inklusion in Kraft getreten. Die neuen Regelungen sehen vor, dass Kinder mit Lernschwächen zunächst in Regelschulen eingeschult werden, was einen direkten Zugang zu Förderschulen für viele dieser Kinder ausschließt. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Inklusion zu fördern und die Barrieren zwischen behinderten und nicht-behinderten Schülern abzubauen. Tagesschau berichtet, dass Kinder, die bisher aufgrund eines sonderpädagogischen Förderbedarfs in Förderschulen geschickt werden konnten, nun eine längere Beobachtungszeit in den Regelschulen durchlaufen müssen.
Die Reform trifft vor allem Kinder, die oft aus sozial benachteiligten Familien stammen, geringe Deutschkenntnisse haben oder einen niedrigeren IQ aufweisen. Bisher konnten diese Kinder mit einem entsprechenden Gutachten direkt in Förderschulen eingeschult werden, doch nun müssen sie in der Regelschule verbleiben, was die Bildungseinrichtungen vor enorme Herausforderungen stellt. Experten weisen darauf hin, dass es einen signifikanten Nachholbedarf in der Inklusion gibt, um ein gleichberechtigtes Lernen für alle Schüler zu gewährleisten.
Frustration unter Lehrkräften
Die Meinungen in der Lehrercommunity sind geteilt. Viele Lehrkräfte äußern ihre Frustration über die fehlenden Ressourcen und Unterstützung in den Regelschulen. Diese sehen sich oft allein gelassen, wenn es darum geht, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler gerecht zu werden. Lehrkräfte sind gehalten, sich bei Bedarf an Förderschulzentren zu wenden. Diese bieten zwar Beratungen an, jedoch keine direkte Unterstützung bei der Arbeit mit den betroffenen Kindern. Die Zahl der hilfesuchenden Regelschulen steigt konstant, was zu einem Anstieg unerledigter Anträge im zuständigen Förder- und Beratungszentrum geführt hat. Der Leiter der Schubert-Förderschule, Tammo Scherr, warnt daher vor möglichen langfristigen Folgen für die betroffenen Kinder, wie etwa einer erhöhten Anfälligkeit für Schulangst.
Die Bildungsministerin des Landes, Stefanie Hubig (SPD), hat betont, dass mit dieser Maßnahme etwa 400 Kinder betroffen sind. Dies sei im Kontext von insgesamt 40.000 Grundschulkindern als überschaubar einzustufen. Kritiker der Reform weisen jedoch darauf hin, dass besonders Schulen in Ballungsgebieten stark mit Förderkindern konfrontiert sind und daher mehr Unterstützung benötigen.
Langsame Fortschritte in der Inklusion
Die Situation in Rheinland-Pfalz steht exemplarisch für Herausforderungen im gesamten deutschen Bildungssystem. Viele Bundesländer hinken bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hinterher. Die aktuellsten Statistiken zeigen, dass die Exklusionsquote in Deutschland zwischen den Jahren 2008/09 und 2022/23 lediglich von 4,8 % auf 4,2 % zurückgegangen ist, was auf eine langwierige Entwicklung hinweist. Bertelsmann Stiftung führt aus, dass trotz einer steigenden Anzahl an Schulen, die inklusiven Unterricht anbieten, häufig zwei getrennte Systeme – allgemeine Schulen und Förderschulen – bestehen.
Der Fortschritt beim Ausbau eines inklusiven Schulsystems variiert je nach Bundesland erheblich. Bislang gibt es kein länderübergreifendes, koordiniertes Vorgehen, das die Gleichstellung der Bildungschancen für alle Schüler gewährleisten könnte. Die Veränderungen hängen stark von den jeweiligen Anstrengungen der einzelnen Bundesländer ab, was zu einer unterschiedlichen Handhabung der Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf führt. In einigen Regionen haben Kinder aufgrund regionaler Unterschiede Chancengleichheit, während andere stark benachteiligt sind. Aktion Mensch ergänzt, dass die Förderquote in Deutschland aufgrund der uneinheitlichen Datenlage schwer zu beurteilen ist.
Insgesamt ist die Reform in Rheinland-Pfalz ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt abzuwarten, wie die Herausforderungen in der praktischen Umsetzung bewältigt werden können und ob langfristig tatsächlich eine Verbesserung der Inklusion in deutschen Schulen erreicht werden kann.