Die Stadt München hat sich der Aufarbeitung von Missbrauchserfahrungen angenommen, die viele Kinder in Heimen erlebten, in die sie seit 1945 vom Jugendamt vermittelt wurden. Erkenntnisse aus dieser Zeit sind alarmierend: Viele dieser Kinder waren gravierenden Gewalttaten, insbesondere sexuellem Missbrauch, ausgesetzt. Benno Oberleitner, ein 68-jähriger Mann, der als „Verschickungskind“ verschiedene Einrichtungen durchlief, ist einer von zahlreichen Betroffenen. Er erlitt körperliche, sexuelle sowie psychische Gewalt in Heimen wie dem Münchner-Kindl-Heim und dem Avenariusheim. Zwischen 1945 und 1975 befanden sich rund 3.000 Kinder in der Obhut des Münchner Jugendamts, wobei die genauen Zahlen und die Schwere des Missbrauchs bislang unklar sind, wie tz.de berichtet.
Die Stadt hat 2021 einen bedeutenden Schritt zur Aufarbeitung dieser schmerzlichen Geschichte unternommen und eine unabhängige Expertenkommission eingerichtet, die von Ignaz Raab, einem pensionierten Polizisten, geleitet wird. Mit einem Budget von 35 Millionen Euro wurden Anerkennungsleistungen für die Betroffenen genehmigt, die jedoch ausschliesslich Personen zugutekommen, die nach 1945 vom Jugendamt in Heime vermittelt wurden. Raab appelliert zudem an die Notwendigkeit eines „bayerischen Aufarbeitungsgesetzes“, um eine bundesweite Einheitlichkeit in der Behandlung dieser Thematik zu schaffen.
Wissenschaftliche Begleitung und gesellschaftliche Verantwortung
Der Aufarbeitungsprozess wird wissenschaftlich vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) begleitet. Die Untersuchung konzentriert sich auf mögliche pädophile Netzwerke und die Taten zwischen 1945 und 1990, wobei die DJI-Direktorin Walper betont, dass die tiefen Ursachen der damaligen Gewalt erhellt werden sollen. Ziel ist es, Risiken für sexualisierte Gewalt zu verstehen und potenziell zu verringern. Bürgermeisterin Dietl (SPD) hebt Münchens Vorreiterrolle in dieser deutschlandweiten Angelegenheit hervor, während der Stadtrat im August 2024 die bereits erwähnten 35 Millionen Euro für die Anerkennungsleistungen bewilligte, wie Deutschlandfunk berichtet.
Die Initiative Eckiger Tisch, die sich für die Belange von Betroffenen einsetzt, bewertet diese Schritte als „beispielhaft“, weist jedoch darauf hin, dass für viele Betroffene die Maßnahmen zu spät kommen. Die meisten ehemaligen Heimkinder sind mittlerweile im Rentenalter, und viele haben bis heute unter den Folgen ihrer Erlebnisse zu leiden.
Langfristige Auswirkungen und anhaltender Aufarbeitungsbedarf
Die Aufarbeitung der Heimerziehung und des damit verbundenen Missbrauchs ist ein lange überfälliger Prozess. Historische Rückblicke zeigen, dass etwa 800.000 Menschen in den alten Bundesländern zwischen 1945 und Mitte der 1970er-Jahre von Heimunterbringung betroffen waren. Die Erfahrungen im ehemaligen Piusheim in Glonn sind nur eines von vielen Beispielen für die systematische Gewalt in Heimen. Die Geschichte der Heimerziehung ist von physischen und psychischen Übergriffen geprägt, die den Lebensweg vieler Betroffener nachhaltig beeinträchtigten.
Die Gesellschaft hat bis heute Schwierigkeiten, das volle Ausmaß der in Heimen erlittenen Gewalt wahrzunehmen. Die politischen und sozialen Institutionen sind gefordert, Verantwortung für die geschichtlichen Verfehlungen zu übernehmen und die Stimme der Betroffenen ernst zu nehmen. Sensibilisierung innerhalb von Pflegeeinrichtungen ist notwendig, um zukünftige Gewalterfahrungen zu vermeiden und die Traumatisierung von Heimbewohnern anzugehen.
Benno Oberleitner und andere Betroffene wollen nicht nur gehört werden, sondern aktiv an der Aufarbeitung teilnehmen. Sie können sich beim Kinderschutz melden, um die angebotenen Anerkennungsleistungen zu beantragen. Die Stadt München muss diesen Prozess weiterhin ernsthaft und nachhaltig begleiten, um den Opfern von damals die Würde zurückzugeben, die ihnen aufgrund systematischer Gewalt genommen wurde.