Am Diezer Amtsgericht begann ein aufsehenerregender Prozess, der die Augen auf die oft übersehene Problematik der Gewalt gegen Pflegepersonal richtet. Angeklagt ist ein 34-Jähriger, der in einer Betreuungseinrichtung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen einen gewalttätigen Übergriff verübt haben soll. Dieser Vorfall ereignete sich in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 2023, als eine Mitarbeiterin gegen 4 Uhr morgens lautes Poltern aus dem Zimmer des Bewohners hörte. Nach dem Klopfen an die Tür und dem Betreten des Zimmers wurde sie sofort von dem Mann angegriffen, der lautstark aggressiv auf sie zustürmte. Ein Zimmernachbar, der zur Hilfe eilen wollte, wurde ebenfalls verletzt während des Vorfalls.
Die Problematik der Gewalt gegen Pflegepersonal hat in den letzten Jahren an Dringlichkeit zugenommen. Laut einer aktuellen Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), die Ende 2023 veröffentlicht wurde, wurden zwischen 2018 und 2022 insgesamt 353.857 Arbeitsunfälle ausgewertet. Erschreckende 26.500 Vorfälle von Aggression oder Gewalt führten zu einem Arbeitsausfall von mindestens drei Tagen. Jährlich sind ungefähr 5.300 gewalttätige Übergriffe oder Fälle sexualisierter Gewalt gegen Pflegekräfte zu verzeichnen. Neun von zehn Beschäftigten erlitten überwiegend körperliche Verletzungen.
Ein besorgniserregender Trend
Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass die meisten Vorfälle in den Bereichen Beratung, Betreuung sowie Alten- und Krankenpflege stattfinden. Fast zwei Drittel der gemeldeten Übergriffe ereigneten sich in diesen Einrichtungen. Während die BGW Unterstützung für Mitgliedsbetriebe bietet, bleibt die Frage, wie ernst das Problem von der Gesellschaft insgesamt genommen wird.
In der wissenschaftlichen Diskussion um Gewalt in der Pflege haben verschiedene Studien und Berichte die Themen Missbrauch und Aggression tiefgehender analysiert. Abner et al. (2019) sowie Eggert et al. (2023) thematisieren die häufige Gewalt in stationären Pflegeeinrichtungen und die Notwendigkeit, missbräuchliche Handlungen ernst zu nehmen. Auch der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) hat in seinem 6. Pflege-Qualitätsbericht auf die wiederkehrenden Probleme aufmerksam gemacht, die häufig nicht angemessen behandelt werden.
Der Ruf nach Prävention
Die immer wiederholten Berichte über Gewalt in der Pflege verdeutlichen die dringende Notwendigkeit für präventive Maßnahmen. Studien wie die von Köpke et al. (2021) befassen sich direkt mit Gewaltpräventionsprojekten in derstationären Pflege. Diese Initiativen könnten dazu beitragen, sowohl das Personal als auch die Bewohner besser vor derartigen Übergriffen zu schützen.
Die aktuelle Verhandlung am Diezer Amtsgericht könnte somit weitreichende Implikationen für das Berufsbild des Pflegepersonals haben. Es zeigt auf, dass nicht nur die Sicherheit der Bewohner, sondern auch die des Pflegepersonals in vielen Einrichtungen in Gefahr ist. Dass derartige Vorfälle wie der jüngste Übergriff nicht nur Einzelereignisse sind, sondern Teil eines besorgniserregenden Trends, ist offensichtlich. Die Gesellschaft ist aufgerufen, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Systeme zu etablieren, die sowohl Opfer als auch Täter angemessen behandeln.