Die Suchtberatung in Deutschland steht vor einer nie dagewesenen Herausforderung: Immer mehr Menschen suchen Hilfe, und ihre Probleme werden zunehmend komplexer. Die Ökumenische Fachambulanz Sucht (ÖFaS) in Nordhorn ist eine dieser Einrichtungen, die mit Hochdruck daran arbeitet, den Betroffenen zu helfen. „Wenn es finanziell möglich wäre, könnten wir locker noch zwei weitere Kräfte einstellen: So groß ist der Bedarf“, berichtet das Team der ÖFaS. Anlässlich des „Aktionstag Suchtberatung“ am 14. November wird auf die Dringlichkeit der Suchtberatung hingewiesen. Das Motto „Suchtberatung stärken, Gesundheit schützen“ könnte nicht passender sein, um die Situation zu beschreiben.
Im Jahr 2023 wurden insgesamt 794 Menschen von der ÖFaS beraten, was einem Anstieg von etwa 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. „Es ist längst nicht mehr nur der Handwerker, der durch sein Feierabendbier in die Sucht abgerutscht ist“, erklärt Holger Terhorst, ein Mitglied des Beraterteams. Die Klienten kommen aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten, und oft sind ihre Suchtprobleme nur ein Teil eines viel größeren persönlichen Dramas, das auch Schulden oder familiäre Konflikte umfasst. Diese Entwicklung ist nicht nur lokal, sondern betrifft das gesamte Bundesgebiet, wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) berichtet.
Vielfältige Herausforderungen in der Suchtberatung
Die ÖFaS hat sich auf drei Hauptbereiche spezialisiert: Beratung, Prävention und ambulante Rehabilitation. Letztere erfolgt sowohl in Gruppen als auch in Einzelgesprächen. Besonders auffällig ist, dass Alkohol mit 73 Prozent die häufigste Suchtform unter den Klienten darstellt. „Einige Betroffene scheuen vor einer Therapie zurück, weil sie einen sozialen Rückzug befürchten“, so Janna Balders, eine weitere Beraterin. Die Angst vor Stigmatisierung und Isolation hält viele davon ab, den ersten Schritt zu wagen.
Die Erfolgsquote ist jedoch ermutigend: 77 Prozent der Rehabilitanden haben im Jahr 2023 ihre Therapie erfolgreich abgeschlossen. Dennoch gibt es Herausforderungen. Sandra Mennemann erklärt, dass viele Menschen unrealistische Erwartungen haben: „Einige denken, nach einem Termin sei die Sache erledigt – das funktioniert so nicht.“ Die Entscheidung, ob eine ambulante oder stationäre Therapie die richtige Wahl ist, wird individuell getroffen.
Familien und gesellschaftliche Verantwortung
Oft sind es nicht nur die Betroffenen selbst, die Hilfe suchen. Auch Angehörige und Vorgesetzte wenden sich an die ÖFaS, oft in einem Zustand der Verzweiflung. „Grenzen aufzuzeigen, ist eine Kompetenz – und daran fehlt es häufig“, sagt Terhorst. Besonders in Zeiten von Social Media und Online-Spielen ist der Konsum von Suchtmitteln gestiegen, was Eltern, Lehrern und Arbeitgebern große Sorgen bereitet. Die Verantwortung, Kinder in die Konsumwelt einzuführen, liegt oft bei den Eltern, die manchmal aus Angst vor sozialer Isolation zu nachgiebig sind.
Die finanzielle Situation der Suchtberatungsstellen ist angespannt. Trotz der Unterstützung des Landkreises bleibt ein strukturelles Defizit bestehen. „Vor dem Hintergrund einer wachsenden Komplexität der Fälle und einer höheren Nachfrage bei gleichzeitigem Personal- und Fachkräftemangel stehen Suchtberatungsstellen unter erheblichem Druck“, erklärt Mennemann. Die ÖFaS bemüht sich, nach der ersten Kontaktaufnahme schnell einen Termin anzubieten, doch die hohe Nachfrage führt oft zu Verzögerungen.
Die Kontaktaufnahme ist auch anonym über das Portal „DigiSucht“ möglich, was den Betroffenen eine zusätzliche Möglichkeit bietet, Hilfe zu suchen. Die ÖFaS ist ein wichtiger Anlaufpunkt für all jene, die in ihrer Sucht gefangen sind und den Weg zurück in ein geregeltes Leben suchen.